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Als die Hase fremdging

Kolpingsfamilie auf Bootstour mit der „Lyra“ auf Kanal unterwegs

Ein Artikel der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 18.06.2022, Autor: Joachim Dierks

Die Heimat einmal von der Wasserseite aus erleben und dabei vieles über ihre Geschichte erfahren – dieses Vorhaben führte 40 Hollager Kolpingbrüder und -schwestern auf das Fahrgastschiff „Lyra“. Kapitän Wolfgang Bonfert navigierte, Heimatforscher Franz-Joseph Hawighorst referierte.

Die unternehmungslustige Kolping-Gruppe „60plus“ unter der Leitung von Josef Thöle hatte die Idee, den Ortshistoriker Hawighorst einzuladen und ihn während einer Schiffsfahrt auf dem Stichkanal über „12 000 Jahre ohne Kanal und 100 Jahre mit Kanal“ sprechen zu lassen. Dass die Steinzeit-Menschen schon vor 12 000 Jahren Spuren im heutigen Hollager Ortsteil Brockhausen hinterließen, wurde dabei nur kurz gestreift. Mit einem Zeitsprung ins ausgehende Mittelalter rückte Hawighorst den Hase-Fluss in den Mittelpunkt.

Schlägereien unter Schafhaltern

Der hatte eine große wirtschaftliche Bedeutung – nicht als Verkehrsweg, sondern weil er die breiten Haseauen regelmäßig überflutete und mit seinen Schwemmpartikeln die Wiesen düngte. Gras und Heu machten das Vieh der Landwirte satt. In erster Linie waren dies Schafe. Große Fiesteler und Hollager Höfe wie etwa Dauwe, Klumpe, Trame, Wellmann und Remme besaßen eigenes Grünland an der Hase. Ein großer Teil der Wiesen stand jedoch als „gemeine Mark“ im gemeinsamen Besitz aller Hollager Höfe.

Dort waren die Zeiten geregelt, in denen die Schafe nicht weiden durften, damit das Gras nachwachsen konnte. Aber nicht alle Schafhalter hielten sich an die Regeln der Markgenossen. Verstöße wurden vor das „Holzgericht“ (Hölting) gebracht. Mitunter warteten die Bauern aber den nächsten Gerichtstag nicht ab und griffen zur Selbsthilfe. Alte Aufzeichnungen berichten von Schlägereien zwischen den Bauern auf der Ostseite der Hase und den Halenern auf dem anderen Ufer. „Leider steht da auch, dass die Hollager meistens angefangen haben zu schlagen“, räumte Hawighorst mit verschmitztem Lächeln ein.

Auf der anderen Haseseite war Ausland. Schon immer. Im Mittelalter bildete die Hase die Grenze zwischen der Grafschaft Tecklenburg und dem Fürstbistum Osnabrück, später zwischen Preußen und dem Königreich Hannover und heute zwischen den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. „Heute kommen wir ja mit unseren Nachbarn im Westen gut aus, kämpfen sogar dafür, dass endlich der Radweg zwischen Halen und Hollage kommt, aber das war nicht immer so“, führte Hawighorst aus.

Früher mussten sich Osnabrück, Pye und Hollage gegen die Überfälle des Grafen von Tecklenburg durch den Bau der Landwehr, einer Barriere aus Wällen und Gräben von der Eversburg bis zur Dörenburg, schützen. Der Fürstenauer Weg, wie wir ihn heute kennen, verdanke seine Streckenführung östlich der Hase letztlich den häufigen Aggressionen des Grafen. Als Hawighorst einmal vor einer Schulklasse darüber berichtete, stellte sich heraus, dass die Lehrerin aus Lotte stammte, also aus dem „feindlichen Ausland“. „Da musste ich meine Wortwahl natürlich etwas anpassen“, erklärte Hawighorst zur allgemeinen Erheiterung.

Trassenwahl für den Kanal: Basta!

Als vor 110 Jahren der Zweigkanal vom Mittellandkanal nach Osnabrück gebaut wurde, musste dafür vorher das parallel verlaufende Hasebett nach Westen verschoben werden. „Wir Hollager wissen aber, dass die Hase damit im Grunde genommen nicht einverstanden war und sich immer mal wieder den Weg zurück in ihr altes Bett bahnte“, erklärte Hawighorst launig. Und berichtete von den Hase-Hochwassern 1960, 1981 und mit weniger gravierenden Schäden 2010, bei denen der Damm zwischen den beiden Gewässern brach und die Hase sich in den Kanal ergoss.

Als es 1908 um die Trassenwahl für den Stichkanal ging, wurde die Gemeindeversammlung von Hollage nicht gefragt. In den Sitzungsprotokollen ist nichts über die Kanalplanung zu finden. Der Staat legte den Verlauf fest und damit basta, Bürgerbeteiligung war ein Fremdwort. Natürlich waren die Bauern gegen den Kanal, weil sie wertvolles, hofnahes Grünland abgeben mussten. Der nordwestliche Ortsteil Barlage wurde gar durchschnitten. Wer nicht freiwillig verkaufte, wurde zwangsenteignet. „Das ging damals ratzfatz“, so Hawighorst. Von den erhaltenen Entschädigungen konnte man kaum neues Land erwerben, denn alles war in festen Händen, und jeder klammerte sich an seinen Grundbesitz. In dieser Situation ereilte auch einige Hollager Landwirte das Schicksal, dass die Inflation von 1923 das Geld, das sie noch auf der hohen Kante liegen hatten, vernichtete.

Der Referent warf einen vergleichenden Blick auf die Projektierung der Autobahn Hansalinie (heute BAB 1) Ende der 1950er-Jahre. Damals war die Gemeinde sehr wohl eingebunden und legte scharfen Protest ein gegen den ursprünglichen Plan, die Autobahn über den Hollager Berg und mitten durch Hollage zu legen. Bürgermeister Georg Lagemann argumentierte unter anderem damit, dass Hollage bereits 50 Jahre zuvor für den Kanal große Opfer bringen musste. Und so kam es, dass die A1 heute tatsächlich Hollage verschont und dafür Wallenhorst von Lechtingen trennt.

Kanalausbau und Posse um Brückenneubauten

Während die „Lyra“ am Yachthafen vorbeiglitt, erinnerte Hawighorst an die Schulbadeanstalt, die vor 1962 an dieser Stelle existierte, dann aber wegen angeblich zu schlechter Wasserqualität geschlossen wurde. Etliche Kolpingbrüder und -schwestern konnten dazu eigene Erlebnisse beitragen.

Das erhaltene Sandstein-Portal der abgebrochenen Maschweg-Brücke am Ostufer lieferte das Stichwort, über die Kanalverbreiterung vor 20 Jahren und die dadurch notwendig gewordenen Neubaubrücken zu reden. Laut Hawighorst hatte sich dabei die Wasserstraßenverwaltung des Bundes nicht mit Ruhm bekleckert. Anstatt die neuen Brücken an die aktuellen Verkehrsverhältnisse anzupassen, seien sie in ihrer historischen Breite hergestellt worden – mit der Konsequenz, dass etwa heutige Erntemaschinen die millionenteure Niehaus-Brücke nicht passieren könnten, weil die Gehsteige – anders als bei der alten Brücke – nicht mehr überfahrbar seien.

Und dass Radfahrer auf der Halener Brücke um ihr Leben fürchten müssten. Aus heutiger Sicht hätte man gern auf die überflüssig gewordene Niehaus-Brücke verzichtet, wenn dadurch die anderen Brücken verkehrstauglich hergestellt worden wären. „Immerhin hat Hollage es durch dieses Possenspiel mit den Brücken ins Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes geschafft“, merkte Hawighorst ironisch an.

Zum Abschluss stellte er die Frage, was Hollage und New York gemeinsam sei. Antwort: Beide bewunderten vor 60 Jahren das zwölf Meter lange, schwimmfähige Modell des Passagierdampfers „Bremen“. Zwei Osnabrücker Tüftler hatten das Schiff 1962 gebaut und im Stichkanal zu Wasser gelassen. Unzählige Hollager säumten das Kanalufer, als die „Bremen“ auf ihrem Weg über Kanäle und die Weser nach Bremerhaven vorbeigetuckert kam. Von dort ging es dann per Frachtschiff nach New York, wo sie die Freiheitsstatue umrundete und als größtes seetüchtiges Modellschiff der Welt für den Norddeutschen Lloyd auf Promotionstour ging.

Wieder an Land, luden Josef Thöle und Kolping-Präses Pater Thomas Vaddakumchery die Kanalfahrer zum Mittagessen ins neue Philipp-Neri-Haus der Kirchgemeinde ein.